Gruselstunde


Die Sache mit Halloween


 

 

 

 

 

Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt ist es auch in Deutschland zu einem Brauch geworden, Halloween zu feiern. Verantwortlich dafür sind amerikanische Filme und Serien, die uns seit Mitte der 1990er Jahre alles vorführen, was dazu gehört: Kostüme, Streiche, Kürbiskerzen und Kinder, die von Haus zu Haus gehen und Süßigkeiten sammeln.

 

 

Und jedes Jahr aufs Neue führt dieser Brauch zu Zwistigkeiten zwischen den Halloween-Fans und braven Lutheranern, die natürlich am 31. Oktober nur das Reformationsjubiläum feiern wollen und sonst nichts, schon gar nicht so neumodischen, amerikanischen Schnickschnack. Der „Widerstand“ ruft „Halloween-freie Zonen“ aus und verteilt Luther-Bonbons. Aber auch für Christenlehrekinder und Konfirmanden ist es kein Widerspruch, trotz Luther trotzdem als Engelchen oder kleine Teufel verkleidet von Haus zu Haus zu gehen und Süßigkeiten zu sammeln.

 

 

Halloween ist aber alles andere als amerikanischer Schnickschnack. Es verbirgt sich dahinter einiges. Zum Beispiel ein christlicher Feiertag. All Hallows‘ Eve – der Abend von Allerheiligen. Die Tradition der Feier des Vorabends geht auf alte Zeiten zurück, als der Abend der Beginn des neuen Tages war. Wir erleben das noch zu Weihnachten. Der Weihnachtsfeiertag ist der 25. Dezember, aber wir begehen schon den Vorabend, wenn wir am Nachmittag des 24. Christvespern, Krippenspiele und Christmetten feiern. In der Regel sogar in vollen Kirchen, während am eigentlichen Weihnachtstag die Anzahl der Gottesdienstbesucher überschaubar bleibt.

 

 

Allerheiligen, der 1. November, ist in der katholischen Kirche ein Hochfest, ein hoher Feiertag. So bedeutsam, dass dieser in überwiegend katholischen Gegenden sogar ein freier Tag für die Bevölkerung ist. So wie der 31. Oktober in evangelischen und lutherischen Gegenden. Es wird an diesem Tag all der Heiligen gedacht, die keinen eigenen Feiertag haben und auch der unbekannten Heiligen. Ihm folgt der Tag von Allerseelen, der Tag des Totengedenkens. Lax könnte man sagen, dass dies die katholische Variante des Ewigkeitssonntages ist.

 

 

Das ist das christliche Obergewand von Halloween. Die Toga gewissermaßen. Aber es gibt auch noch eine Tunica, ein Untergewand, und dieses ist heidnisch. In der Nacht zwischen dem 31. Oktober und dem. November feierten die Kelten das Fest von Samhain. Das Gegenstück dazu ist Beltane, welches wir als Walpurgisnacht kennen. Diese beiden Feste bilden eine Einheit, denn sie teilen das Jahr in zwei Teile. In der keltischen Mythologie hat jedes Ding der Welt einen jenseitigen Schatten in der sogenannten Anderwelt. Das ist zum einen das Jenseits, in dem die Seelen der Toten leben, es ist aber auch das Reich der Andersweltlichen, der Geister, Feen, Elfen und Götter. Zu Beltane wird die Pforte zur Anderwelt geschlossen, und an Samhain wird sie wieder geöffnet. Viele der noch heute üblichen Halloween-Bräuche hängen damit zusammen. Zum Beispiel das Verkleiden. Man verkleidete sich, damit man nicht erkannt wurde von den Geistern und vor allem nicht von den toten Seelen. Die irische Folklore ist voll von Geschichten über Menschen, die keine Maske trugen und sich die ganze Nacht hindurch den Schabernack der Anderweltlichen gefallen lassen mussten. So erzählt William Butler Yeats in seiner Anthologie „Folk and Fairy Tales of Ireland“ die Geschichte eines jungen Mannes, der sich einen Toten einfing, der ihn die ganze Nacht zwang, ihn durch die Gegend zu tragen von einem Kirchhof zum anderen, bis sie am Ende der Nacht den Friedhof gefunden hatten, auf dem er begraben lag, und erst dann gab er den Burschen frei, der in dieser Nacht um Jahre gealtert war. Denn in der Begegnung mit den Andersweltlichen war Vorsicht das oberste Gebot. Sie konnten freundlich sein und Geschenke machen: wie Töpfe, die nie versiegten. Sie konnten aber auch Unheil anrichten. Es war also besser, ihnen aus dem Weg zu gehen und ihnen bis zum nächsten Beltane-Fest die Welt zu überlassen. Samhain war auch der Stichtag für die Ernte oder das Sammeln von Kräutern und Früchten. Alles, was nach diesem Tag noch in der Natur wuchs, gehörte denen von der anderen Seite. Mit einer Ausnahme: der Mistel. Diese allerdings durfte nur in diesen dunklen Monaten gesammelt werden.

 

 

Das zwei Festtage wie Allerheiligen und Samhain, die sich zudem noch sehr ähneln, geht es doch um das Angedenken verstorbener Vorfahren, auf dem gleichen Datum liegen, ist kein Zufall. Im Zuge der Christianisierung verwendeten die christlichen Missionare immer wieder heidnische Feiertage und besetzten sie neu. Das machte es den Menschen einfacher, sich daran zu gewöhnen.

 

 

Der Johannistag ist ein weiteres Beispiel. Lichtmess, der Michaelistag, Weihnachten, Mariä Verkündigung… Hinter all diesen Hochfesten stecken ursprünglich heidnische Feste.

 

 

Besonders erfolgreich waren die frühen Missionare mit dieser Strategie in Irland. Die dort lebenden Kelten fanden im Christentum viel Vertrautes, und so gelang es ihnen, ihre eigene Tradition zu bewahren, auch wenn sie die neue Religion annahmen. Blutige Zwischenfälle, Hinrichtungen und Einsatz von Gewalt, wie sie sich bei der Christianisierung Germaniens noch bis in die Zeit Karls des Großen hinein ereigneten, fehlen auf der Grünen Insel, zumal es dort auch keinen König gab, der das Christentum missbrauchte, um seine Macht durchzusetzen.

 

 

Kommen wir zurück in die Gegenwart. Wie können wir im 21. Jahrhundert sinnvoll umgehen mit einer Tradition, die Jahrtausende alt ist? Ich persönlich finde es immer wieder bemerkenswert, wie sich Heiliges über die Zeiten bewahrt. Es verändert sein Angesicht, aber sein Wesen bleibt gleich. Wenn wir uns als Christen der Geschichte von Halloween öffnen, dürfen wir eine Welt betreten, die noch für die Menschen im Mittelalter absolut real und relevant war: Die Welt des Mysteriösen, Unheimlichen, die Welt all dessen, was als Dunkel seit Anbeginn der Zeit Teil unserer Seele und unserer menschlichen Natur ist.

 

 

Die Katholiken haben eine gute Wahl getroffen, als sie das Hochfest von Allerheiligen auf den Tag von Samhain legten. Halloween, der Vorabend von Allerheiligen, ist größer als Kinderstreiche, Kostümfeste und Süßigkeiten, es ist auch größer und weiter als Luther. Es umfasst eine Dimension, die uns bereichert. Genau wie die Kelten können wir unser Christentum leben und es trotzdem wagen, einen Blick zu werfen hinter den Vorhang der Nacht, der Leben und Tod voneinander trennt und miteinander verbindet. Wir werden dadurch keine Heiden oder Apostaten werden, sondern einfach Menschen, die die Grenzen von Raum und Zeit für einen Abend überwinden , wenn wir gemeinsam mit unseren Vorfahren die Mächte der Natur, die größer als wir sind, fürchten und verehren gleichermaßen. Lassen wir die Kinder spielen. Spielen wir mit ihnen und behalten dabei im Gedächtnis, wie alt und auch wie immer wieder neu dieses Spiel ist.

 

Ilka Lohmann